Meine Oma war eine einfach Frau, die ihr halbes Leben als Witwe verbringen musste. Geheiratet hat sie meinen Opa, der Mitte der 60er verstarb, am Heiligen Abend 1947. Wenn man berücksichtigt das meine Mutter im August 1948 das Licht der welterblickte, kann man sich denken warum geheiratet wurde; so war das halt damals.
Das Haus meiner Eltern gehörte eigentlich meiner Oma. Es ist das Haus in dem meine Mutter aufgewachsen ist; mein Vater zog also zu seiner Schwiegermutter, als er meine Mutter heiratete. So kam es, das es mir anders ging als den meisten anderen Leuten die ich kenne. Immer wenn ich aus dem Kindergarten, aus der Schule, aus der Uni oder später zu Besuch nach Hause kam war meine Oma da. Ich wuchs mit ihr auf.
Meine Eltern waren beide berufstätig, da wo andere von ihrer Mutter nach Schulschluß begrüßt wurden, war es meine Oma, die mit Mittagessen auf mich wartete. Es waren meistens einfache Sachen die sie für mich kochte: Pfannkuchen und Kartoffelpuffer, die ich in unmenschlichen Mengen verdrückte. Der letzte Kartoffelpuffer war übrigens immer so groß wie die ganze Pfanne; darauf reichlich Zucker. (Meine Figur kommt nicht von ungefähr 😉
Im Sommer gab es Fliederbeersuppe mit Birnenspalten und Grießklößen und oftmals auch Milchsuppe; im Grunde genommen nur Pudding mit mehr Milch, wodurch er flüssiger war als sonst. Wenn es mal Fleisch gab, machte sie Karbonade mit Kartoffeln und Erbsen-Wurzelgemüse oder Frikadellen mit Schnippelbohnen. Ich liebte alles was Oma kochte und kann mich nicht erinnern das ich irgendwann mal etwas nicht gegessen habe.
Das Essen meiner Mutter und später meines Vaters, als er das Kochen für sich entdeckte, war und ist auch sehr gut und ich bin froh in einem Haushalt aufgewachsen zu sein in dem immer frisch gekocht und nicht nur ein Glas oder eine Dose aufgemacht wurde, aber von Oma bekocht zu werden war etwas besonderes.
Ich weiß nicht wieso, aber Oma nannte mich immer Moritz. „Na Moritz, geht es Dir gut? Hast Du Arbeit? Das ist das Wichtigste. Das ist die Hauptsache.“
Ich war nicht immer ein guter Enkel. Ich war renitent, bockig und es gab auch mal Widerworte oder sarkastische Bemerkungen als ich älter war, doch sie nahm es hin wenn ich diese Momente hatte. Laut wurde sie dann mit mir nie.
Oma war aber auch nicht immer toll. Sie sagte gelegentlich „Scheiße!“ oder „Laß mich in Ruhe.“. Sie war manchmal stur und hatte eine Phase in der sie heimlich rauchte, es aber abstritt, wenn man sie darauf ansprach, weil man es roch. Sie nannte unseren Hund manchmal „Blöder Köter.“, weil er so gerne vor ihren Füssen lag und sie das störte. Doch es war herzzerreißend als ich eines morgens aufwachte, weil sie in der Küche saß und sich die Seele aus dem Leib weinte, als meine Eltern morgens vor dem Weg zur Arbeit beim Tierarzt vorbeifahren mussten um unseren Hund einschläfern zu lassen damit er sich nicht weiter mit seiner Dackellähme quält.
Oma trank gerne ein Glas Wein zum Abendessen und liebte ihr tägliches Likörchen. Ich habe ihr später immer selbstgemachten Eierlikör zu Weihnachten geschenkt.
Mein Vater erzählte mal, wie Oma, die im ausgebauten Dachgeschoßes unseres Hauses wohnte, bei meinen Eltern saß und zusammen mit ihnen „Am laufenden Band“ gesehen hatte. Sie lachten und tranken viel und Oma kroch auf allen vieren die Treppe nach oben, weil sie sternhagelvoll war. Ich muß bei dem Gedanken an dieses Bild immer lachen.
Ich war als Kind ein paar Mal mit Oma im Urlaub. Meistens in Bayern oder Österreich, der Sprache wegen. Ich weiß, wie ich einmal heulend neben meinem Vater saß und ihm sagte, daß ich mir wünschte Mal wieder mit Oma in den Urlaub zu fahren, bevor ich zu alt für so etwas bin. Ich muß da 10 oder 11 gewesen sein. Natürlich ist es toll mit Oma in den Urlaub zu fahren: sie erlaubt einem fast alles und richtet sich nach einem – Eltern haben eine festes Programm und man muß machen was sie wollen; ihr kennt das.
Oma hatte irgendwann Brustkrebs. Die Ärzte sagten damals, das sie eine Brust entfernen müssten. Sie könnte dann noch locker 10 Jahre leben. Es wurden, wenn ich mich nicht irre, mehr als doppelt so viele. Manchmal vergaß sie ihre BH-Einlage im Badezimmer meiner Eltern, wenn sie bei uns unten geduscht hat. Wenn ich ihr diese dann nach oben brachte lachte sie darüber: „Ach, das blöde Ding!“.
Als sie Mitte 80 war hat sie noch einen Herzschrittmacher bekommen. Die Ärzte sagten sie sei fit wie der sprichwörtliche Turnschuh, wenn man ihr Alter bedenke. Ich glaube, es war zur gleichen Zeit als ihre Haaare anfingen langsam weiß zu werden.
Oma bekam auch irgendwann Hörgeräte. Sie war zu stolz und eitel sie zu tragen und wenn sie sie trug konnte man die Teile manchmal fiepen hören, weil die Lautstärkeregler voll aufgedreht waren – sie hatte noch 20% ihres Hörvermögens.
Zu diesen körperlichen Verschleißerscheinungen kommen dann irgendwann auch andere Gebrechen und ihre Körperfunktionen ließen etwas nach. Manchmal schaffte sie den Weg zur Toilette nicht mehr rechtzeitig. Meine Eltern kümmerten sich liebevoll um sie. Mein Vater erzählte mir oft, das sie mal wieder gezankt haben. Oma konnte manchmal wirklich verdammt stur sein und wollte niemanden zur Last fallen. Natürlich war es ihr auch unangenehm, das nicht mehr alles so funktionierte wie es sein sollte.
Irgendwann ging das dann nicht mehr. Die psychische Belastung war zu groß und auch wenn es weh tat – Oma musste in ein Pflegeheim. Es gibt eines nur wenige Minuten zu Fuß von meinen Eltern entfernt, dort kam sie unter. Sie lebte knapp ein halbes Jahr dort. Sie war beliebt bei den Pflegern und meine Eltern besuchten sie oft.
Ich nur einmal.
Es war kurz nach 18 Uhr und sie lag bereits im Bett. Der Raum war abgedunkelt. Es roch nach Krankenhaus. Oma war sehr schwach und sprach nur leise. Wir wechselten nur wenige Worte, weil sie schlafen wollte. Ich gab ihr einen Kuß auf die Stirn und drückte sie vorsichtig. Diese einst so starke Frau war so zerbrechlich geworden. Es war furchtbar.
Als meine Eltern ein paar Wochen später das letzte Mal bei ihr waren, wollte Oma, bevor sie gingen, noch mal wissen ob es mir gut geht. Am nächsten Morgen, es war der 7.September 2011, wachte sie nicht mehr auf.
Seit gestern trage ich sie nicht nur mehr im Herzen für immer bei mir.